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Vor einigen Tagen sah ich die dreiteilige Dokumentation des Hessischen Rundfunks über den verurteilten Serienmörder Grzegorz W. – ein ehemaliger 24-Stunden-Pfleger, der bundesweit Patienten mit Insulin vergiftete. Während ich zusah, erinnerte ich mich an einen Einsatz, der mir nie ganz aus dem Kopf ging – und mir wurde klar: Wir haben ihn damals erlebt. Wir, das ist die Freiwillige Feuerwehr Hamburg-Ohlstedt.
Der Einsatz an einem Sonntagmorgen
Es war ein ruhiger Sonntagmorgen, als wir alarmiert wurden – zu einer medizinischen Erstversorgung in einem Wohngebiet, nur wenige hundert Meter von unserer Wache entfernt. Wir rückten wenige Minuten nach Alarmierung mit einem Team aus. Unser Ziel war ein flacher Bungalow, wie es sie viele in Ohlstedt gibt. Was wir dort vorfanden, sollte sich Jahre später als Teil eines der schwersten Serienverbrechen im deutschen Pflegebereich herausstellen.
Vor dem Haus stand ein Mann – Grzegorz W. Er machte einen gefassten, fast distanzierten Eindruck. Sein Deutsch war bruchstückhaft, aber er führte uns ohne Widerstand zur Patientin im Haus.
Die Lage vor Ort
Im Schlafzimmer lag eine ältere Dame – somnolent, nicht erweckbar. Eine Kameradin, die im Hauptberuf als Krankenschwester bzw. Arzthelferin tätig war, übernahm routiniert die erste Anamnese. Alles deutete auf eine massive Hypoglykämie hin. Es wurde sofort ein venöser Zugang vorbereitet.
Etwa 15 Minuten nach Alarmierung traf der Rettungswagen der Feuerwehr Hamburg ein. Ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) kam deutlich später – wenn ich mich richtig erinnere, aus Schleswig-Holstein.
Nach initialer Stabilisierung wurde die Patientin mit dem RTW in die nächstgelegene Klinik transportiert. Unser Einsatz war beendet – wir kehrten zurück zur Wache.
Jahre später: Gerichtssaal München
Im Jahr 2020 erhielt ich eine Vorladung zum Landgericht München. Ich wurde als Zeuge geladen – wegen dieses Einsatzes. Grzegorz W. saß im Saal. Er war inzwischen in mehreren Fällen wegen Mordes durch Insulinverabreichung rechtskräftig verurteilt worden. Ich war Einsatzleiter an jenem Sonntag und musste aussagen.
Woran ich mich erinnere? Ein Mann, der vor mir saß wie ein Schatten seiner selbst. Ein Häufchen Mensch. Und dennoch war er verantwortlich für das Leid und den Tod zahlreicher ihm anvertrauter Menschen.
Warum ich das erzähle
In der erwähnten hr-Doku ist von 69 Pflegeeinsätzen bzw. mutmaßlichen Opfern die Rede – bei mehreren führte das zu tödlichen Verläufen. Der Fall in Hamburg wird dort nicht im Detail erwähnt. Ich fühle mich verpflichtet, wenigstens dieses eine Stück Wahrheit beizutragen: Es gab ein Opfer in Hamburg, und es hat offenbar überlebt – zumindest unseren Einsatz. Ob die Dame heute noch lebt, weiß ich nicht.
Ich weiß nur: Hätten wir nicht rechtzeitig reagiert, hätte sie vielleicht zu den Todesopfern gezählt, über die heute – still und anonym – berichtet wird. Und das zeigt, wie wichtig jede Minute war.
Warum unser Einsatz mehr bedeutet als nur ein Sonntagmorgen
In Deutschland tragen täglich über eine Million Menschen in den rund 23.300 Freiwilligen Feuerwehren dazu bei, Leben zu retten – fünfmal so viele wie bei den 115 Berufsfeuerwehren. Sie leisten jährlich über 2,4 Millionen Einsätze.
Doch nicht nur die Feuerwehren sind unverzichtbar:
– Das Technische Hilfswerk (THW) verfügt über rund 86.000 Ehrenamtliche, gestützt durch 2 100 hauptamtliche Kolleg:innen. Diese leisten Katastrophenschutz auf höchstem Niveau – von Hochwasser bis zum Auslandseinsatz, mit über 669 Ortsverbänden bundesweit.
– Hilfsorganisationen wie das DRK, die Johanniter und das Malteser Hilfswerk setzen auf rund 450.000 (DRK) bzw. 46 000 (Johanniter) Ehrenamtliche.
Insgesamt engagieren sich in Deutschland etwa 28,8 Millionen Menschen ehrenamtlich – jeder 20. von ihnen bei der Feuerwehr. Dieses hohe Engagement sichert nicht nur Lebensrettung – es ermöglicht auch professionelle Hilfe in Katastrophen, bei Großschadenslagen und medizinischen Notfällen.
Unser Einsatz in Hamburg zeigte: ohne uns wäre die Patientin möglicherweise eines von vielen Opfern geworden. Aber dank unserer schnellen, gut ausgebildeten und ehrenamtlichen Hilfe hatte sie eine Überlebenschance.
Diese Geschichte steht exemplarisch für millionenfache Hilfe im Verborgenen – ob als FF, technische Unterstützung durch das THW oder sozialer Betreuung und Sanitäts- sowie Rettungsdienste durch Johanniter, DRK & Co.
Das Ehrenamt in Deutschland – es rettet Leben.
ENGLISH version
Encountering Grzegorz W. — A Mission I Will Never Forget
A few days ago, I watched the three-part documentary by Hessischer Rundfunk about the convicted serial killer Grzegorz W.—a former live-in caregiver who poisoned patients across Germany with insulin. As I watched, memories of a particular call resurfaced—one I never quite forgot. It suddenly became clear: we had encountered him. We, the Volunteer Fire Department of Hamburg-Ohlstedt.
A Quiet Sunday Morning Turned Critical
It was a calm Sunday morning when our pagers went off—an emergency medical response just a few hundred meters from our station. Within minutes, our team was on the way. The address led us to a single-story bungalow typical for our area. What we found there would later become part of one of the most horrifying serial crimes in the German healthcare system.
In front of the house stood a man—Grzegorz W. Calm, almost detached. His German was broken, but he guided us into the house without resistance.
On Scene
Inside, an elderly woman lay in bed—somnolent, unresponsive. One of our team members, a trained nurse and medical assistant by profession, took over the initial assessment. All signs pointed to severe hypoglycemia. We immediately began preparing a venous access line.
About 15 minutes after our arrival, a Hamburg Fire Department ambulance reached the scene. The emergency physician’s vehicle arrived significantly later—if memory serves, it came from neighboring Schleswig-Holstein.
After stabilizing the patient, she was transported to the nearest hospital. Our mission was over—we returned to the station.
Years Later: A Courtroom in Munich
In 2020, I received a subpoena to testify at the District Court of Munich. The case: that very incident. Grzegorz W. sat in the courtroom—by then, convicted in multiple cases of murder by insulin overdose. I had been the officer-in-charge that day and was summoned as a witness.
What do I remember? A man sitting before me—a shadow of himself. A hollow figure. And yet, he was responsible for the suffering and deaths of numerous people entrusted to his care.
Why I’m Sharing This Now
The documentary cites 69 known cases of abuse—several with fatal outcomes. The incident in Hamburg isn’t mentioned in detail. But I feel a responsibility to add this one piece to the public record: there was a victim in Hamburg. And she apparently survived—at least our intervention. Whether she is still alive today, I do not know.
But what I do know is this: had we not reacted swiftly, she may have become just another silent statistic in a tragic story. It is a stark reminder of how every minute can make the difference between life and death.
Why This Was More Than Just a Sunday Call
In Germany, more than one million people serve in approximately 23,300 volunteer fire departments—five times the number of full-time firefighters. Together, they respond to over 2.4 million emergencies annually.
But it’s not just fire departments that are vital:
- The Federal Agency for Technical Relief (THW) has around 86,000 volunteers, supported by 2,100 full-time staff, providing top-tier disaster relief—from floods to international deployments—through more than 669 local units.
- Humanitarian organizations like the German Red Cross (DRK), Johanniter, and Malteser rely on 450,000 (DRK) and 46,000 (Johanniter) volunteers, respectively.
In total, around 28.8 million people in Germany are engaged in volunteer work—every 20th of them with the fire service. This massive commitment ensures not only lifesaving operations but professional response in crises, disasters, and medical emergencies.
Our mission in Hamburg proved that without our trained, fast-responding, and voluntary team, the patient might not have survived. But thanks to the strength of community-driven service, she had a chance.
This story is just one among millions—quiet, humble, and powerful.
Whether it’s fire services, technical rescue through the THW, or humanitarian aid from the DRK, Johanniter, or Malteser—volunteers in Germany save lives every day.
Volunteering in Germany—It Saves Lives.
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